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INCorporating Art Fair Hamburg 2021

Oder: Was hat Kunst auf dem Mars zu suchen?

Maskenpflicht, Impfnachweis plus Testnachweis, ein Schnelldurchgang an dem man zeitverloren alles aus den Taschen kramt und die Züge rauschen vorbei. Der Drei-Stunden-Slot läuft.

Zwei, maximal drei Stunden um über 100 Aussteller zu sehen, das Einmalige zu entdecken und dem „Zauber der Kunst“ wie die digitale Ankündigung (inc.artfair.com) verspricht, zu erliegen.

Was war vor Corona?

Viel Kunst. Viel Hoffnung. Viel Einmaliges. Besonderes, das vielleicht ungesehen liegen oder hängen blieb. Kunststudierte und Kunstbegeisterte, die vielleicht nicht zusammenfanden. Der Markt ist im Umbruch. Die Welt ist im Umbruch. Digital hat längst übernommen. Lichtkunst und Tontechnik, Bewegtbild und Synchronisation, Babbel und Sprachgewirr, Verwirrung und Chaos, so scheint es, haben eine ganze Welt aus den Angeln gehoben. Es fühlt sich an wie Aufbruch und passend zum Gefühl darf man mit der Kunst eintauchen in die neue Welt. Die virtuelle Brille aufgesetzt und schon ist man in einer anderen Welt und kann sich fallen lassen in dieser neuen Realität.

Beim „Mission to Mars Projekt“ von Kulturschokolade.org, landet man auf dem Mars und die Fragestellung lautet: Was nehmen wir mit. Es ist ein bisschen wie Koffer packen, mit der Einschränkung, mit darf nur Kunst. Welche Kunst ist es wert mitgenommen zu werden? Was sticht heraus aus all der Masse an Kunst? Welche Werke sind es wert nicht vergessen zu werden? Wert sie ins Universum hinauszutragen? Die Gewölbedecke der Sixtinischen Kapelle? Die neuronale Struktur eines Hundes? Die Haut? Das Leder? Warum Hund? Warum nicht Katze? Warum nicht Kuh? Schaf? Bär? Oder Ochse? – Bilder? – Was ist vergänglich? Was bleibt? Reicht das Hologramm von einer Besonderheit? Mensch oder Materie, wie man es bei „star wars“ gelernt hat?

Der Mars ist weit und es wird eine Weile brauchen, bis man ankommt. Wer darf, wer soll aufbrechen in eine Welt ohne Atmosphäre, wie wir sie kennen? Wer will freiwillig? Das sind Fragen, die Kunst heraufbeschwört. Darüber hinaus noch viele mehr, wenn man sich Kunst denn austoben lässt. Und die virtuelle Brille gibt viel Spielraum zum Träumen.

Meanwhile in the Universe lässt Michael Acapulco (http://www.acapulco.com/works)den Betrachter durch ein Fenster mit grünen Läden auf einen blauen Planeten mit unterschiedlichsten Wolkenformationen blicken. So muss es sich anfühlen draußen im Orbit zu sein. Und auf die Erde zu schauen. Vielleicht von der ISS aus. Früher der MIR. Wo besondere Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern ohne kulturelle Vorbehalte zusammenarbeiten und an der Vision des Erhalts unseres Planeten arbeiten. Und vielleicht davon träumen andere Planeten zu besiedeln. Vielleicht mit der Idee von Frieden und Einheit im Hinterstübchen. Und mit viel digitalem Equipment an Bord.

An ganz und gar nicht digitale Zeiten erinnert Felix Haspel. In der Galeriesektion „Textile Art Space“ wird er neben Künstlerinnen wie Emanuelle Rapin, Charlotte Kruse und Gabriele Fauma gezeigt und dann staunt man über das analoge Menschsein, erinnert sich an die digitale Brille, denkt an den Aufbruch zum Mars und weiß, dass noch vor der Kunst das Gewebe steht. Als das Rad erfunden wurde hatte sicher noch keiner das Spinnrad im Sinn, und als das Spinnrad erdacht wurde hatte noch keiner an einen Webstuhl gedacht und jedes Gehäkel und Gestricke brachte den Mensch noch ein Stück weiter in der Entwicklung. Durch Schlaufen und Maschen und aus einem einzigen Faden ein wärmendes Stück Kleidung werden zu lassen ist mehr als Kunst. Das Handwerk zu wertschätzen und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen ist ein Anliegen, das Beate und Celina von Harten, in Zusammenarbeit mit Raiko Schwalbe, einem der Messeveranstalter, seit 2018 am Herzen liegt. Vielleicht hätte man es übersehen, hätte einen nicht „der fliegende rote Teppich“ magisch angezogen. Wenn nichts bliebe, wenn man auf einen Wüstenplaneten auswandern müsste, so würde man vielleicht einen Teppich mitnehmen, auf dem man sich langstrecken und ein wenig ausruhen oder schlafen kann. Auf felsigem Grund. Auf der Suche nach Wasser. Und es würde vielleicht ein Teppich sein, der ein Bild zeigt von der alten Welt. Einer Welt mit viel Wasser und grüner Natur. 1996 von Anna Katharina Rohwedder fotografiert, im Messekatalog abgebildet, wird „Der fliegende Rote Teppich“ zum Sinnbild für das menschliche Treiben auf einem fragilen Planeten, der darum kämpft den Fasern zu trotzen, die all-sekündlich in die Wasser gespült werden, ganz zu schweigen von den Farben, den Medikamenten, all der Chemie und was sonst noch so durch Mensch hindurch oder über Mensch hinweg im kühlen Nass landet, das die Lebensgrundlage für jegliche organische Existenz ist.

Emanuelle Rapin (www.merceriesauae.com) hat ihre Werke auf wetterfestem Bautextil gestickt. Der Blick eines Blut weinenden Kindes, wie man zu erkennen glaubt, ein jugendliches Gesicht auf jeden Fall, lässt einen nicht mehr los. Wie durch einen Riss in der Mauer, graffitiverschönert, schaut es von der anderen Seite zu uns herüber. Von der anderen Seite hinter dem Textil. Fertigung und Herstellung aller Textilien, so auch Bautextil haben immer den Nachteil, dass Wasser damit belastet wird. Und das Blau des Planeten ist in Gefahr.

Das Blau, das den Planeten aus dem Orbit betrachtet ausmacht, hat auch Anette Koch mit ihren schwimmenden Menschen im Visier. Die Farbe des Wassers wechselt. Ist nicht immer lagunenblau. Manchmal grün, manchmal türkis. Das Besondere sind die Wellen. Die Bewegung der Moleküle.

Wer am Wasser lebt weiß um den Wert des Wassers. Und wer an Gezeiten-starken Wassern lebt, weiß um die Besonderheit der Richtung von Bewegung. Was sich verändert hat in digitalen Zeiten ist die Konstanz. Es sind nicht mehr ausschließlich sanfte, gleichförmige Wellen, die das Wasser bewegen. Digitale Impulse zerlegen scheinbar die Moleküle. Es ist als würde das Wasser „fragmentiert“. Vielleicht können so Zwischenräume geschaffen werden, Leerstellen, durch die ein Signal nicht mehr weiter transportiert werden kann. Beziehungsweise, es muss umgelenkt werden. Umgeleitet. Und die Impulsfrequenz zaubert Muster.

Die Elbphilharmonie, am Wasser, nicht weit von der Hafencity, unter anderem meisterhaft in Szene gesetzt von Gabriele Rothweiler, denkt man an Ton. Denkt an Audio. Denkt an das Auditorium, das zuhören soll. Die Macht des Tons, des Schalls, der Frequenz, ist nicht ohne Grund in der Elbphilharmonie stilisiert. Gabriele Rothweiler legt die verschiedenen Ansichten der Philharmonie übereinander, schafft eine weitere Ebene zur Harmonie, vielleicht disharmonisch, vielleicht aber auch weiter verfeinert und perfektioniert, alles nur Ansichtssache, vielleicht, am Ende betrachtet man visualisierte Asynchronität. Im Grau in Graublau einer geschichtsträchtigen Stadtschönheit, die neue Antworten auf alte Fragen sucht. Mitten in der digitalen Transformation. Die Stimmen der Besucher der INCorporating art fair, füllen die Halle und werden zum Teil des Himmels über Hamburg. - Impulse. - Frequenzen. - W-Lan. - Daten.

Impulse setzt auch Silvia Strobos in Szene. Vielleicht erkennt man sie erst auf den zweiten Blick, die Tanzenden, die Menschen, die wie im Elektrolicht auf Pulse reagieren. Impulse. Man denkt an laute Bässe, an Gehämmer, an Maschinen, an Elektromusik, an Stroboskoplicht und durchgefeierte Nächte voller Energie, in denen man sich dem Takt und der Frequenz hingibt, die ein DJ für einen bereithält, um davon zu kommen, der Welt zu entfliehen, für eine Weile, einige energiegeladene Momente lang.

Der Realität entkommen, bevor man wieder im Alltag gefangen, den vom System auferlegten Zwängen, dem "Geldverdienenmüssenumlebenundüberlebenzukönnen“ nachkommt. Nachgeht. - Hat man die Wahl?

Vor allem die Plexiglasobjekte von Silvia Strobos faszinieren. Der Schattenwurf, der sich je nach Lichteinfall ändert und den bunten Figuren auf den verschiedenen Glasebenen Leben einhaucht, nimmt mit auf eine Reise tief in die Alte Welt im Fernen Osten, in der das Schattenspiel elementare Bedeutung hat und jedem Kind mit auf den Lebensweg gegeben wurde und vielleicht noch heute wird.

Auch Ursula Reiner hat das Spiel mit Licht und Schatten in manchen Werken aufgenommen. Ihre meist quadratischen Kleinformate spielen mit der Idee Riss und immer sind Worte und Gedanken mit im Spiel. Die Schrift, wie schreibmaschinengedruckt, fügt sich ein in die Risse, inmitten von Landschaften voller Horizonte, ähnlich geraden Wellenimpulsen, wie ausgelöst durch eine Wellenmaschine in einem Wellenbad. Bruchstücke und Kleingedrucktes, Zitate und das Spiel mit Worten und Sprache macht Ursula Rainer zu einer ganz besonderen Künstlerin, was auch wohl die Veranstalter der Messe erkannt haben, denn der Riss quer zwischen Himmel und Erde wurde als Postkarte zur Messeankündigung gewählt. Welche Bedeutung hat die "Bestätigung“?

„Konsequenzen“ „bei allem was ich tue“, in weiteren Rissen geschrieben, kleingedruckt und bruchgestückt, eingebunden in Blau und Grün und Erdtöne aus Rot und Braun machen nachdenklich. Plötzlich starrt man während des Schreibens auf der Tastatur auf den Monitor und hält inne. Und es fällt einem ein Zitat aus Kindertagen ein: „Gesprochenes Wort, geworfener Stein, einmal auf dem Weg, holt niemand mehr ein.“ Und Gretas „Einfach mal nichts tun“ hallt laut und donnernd nach. Wir sind mittendrin im Nachdenken, schaffen es nicht nichts zu tun und hoffen, dass es keine Konsequenzen hat, dass wir laut denken. Muss man wirklich still sein? Still, um keine morphischen Welten zu erschaffen?

Klaus Rimbach (klausrimbach.de) hat großformatige Werke fragmentierter Welten erschaffen, die abstrakt wirken und manch einem vielleicht bizarr und willkürlich erscheinen, doch wer in diesen Tagen mit offenen Augen durch das Draußen geht und die Welt aus Augen betrachtet, die auch den Klimawandel nicht nur als politisches Gehabe abtun, wird feststellen, dass er es verdient hat als Künstler international auf die Reise zu gehen. Und Klaus Rimbach hat es bis nach Asien geschafft. Was er seinen Betrachtern mitteilt ist eine stille Warnung. Ein künstlerisches Mahnmal, das man mit Ursula Rainers „Konsequenzen“ verbinden könnte, was optisch vielleicht nichts miteinander zu tun hat, doch aber im tieferen Sinne, wenn man mit geschlossenen Augen beginnt sich an das Gesehene zu erinnern und über die „Message“ nachzudenken. Ob gewollt, oder nicht? Vielleicht spielt das am Ende nicht einmal eine Rolle.

Eine Rolle spielt Geld. Wer Kunst schafft hat eine ernst zu nehmende Hürde zu nehmen: GELD. Als solle das an den Pranger der Kunst hinterlässt Arno Landwehr Ein „Fenster zur Welt“ mit Spielgeldscheinen. Fenster zur Welt, an einer Seite offen. Hingen sie quer? Nein! Hochkant. Nach oben offen oder nach unten? Spielt es eine Rolle? Dreht man das Werk um, stellt es einfach mal auf den Kopf, wie es Baselitz gemacht hat, ergibt das Ganze gleich einen ganz anderen Sinn. - Besser?

Vielleicht. - Vielleicht auch nicht. Vielleicht doch besser quer. Aber in welcher Richtung offen? Das Fenster alt. Rostig. Wie aus dem zweiten der großen Kriege. Lange ist es her. Die Zitate auf seiner Seite möchte man sich merken. „Kunst ist schön, macht aber eine Menge Arbeit“ von Karl Valentin, „All Art is quite useless“ von Oscar Wilde, „Art is anything you can get away with“ von Marshall McLuhan, wobei man das Wilde´sche Zitat in Anbetracht der Werke von Klaus Rimbach, oder Felix Haspel nicht unterschreiben will. Vielleicht wären die beiden letztgenannten es wert ein Werk von ihnen mit auf den Mars zu nehmen. (Waren sie dabei, beim Streifzug über den roten Planeten mit der virtuellen Brille?) Kunst gibt Anlass zum Grübeln. Warum aber sollte man sie überhaupt mitnehmen auf ferne Planeten? Gibt es nichts Wichtigeres? Die Welt der Kunstgbegeisterten weiß es: Nein! - Ohne Kunst wäre das Leben leer. So nimmt man aus der ersten INCorporating art fair 2021 in Hamburg mit: KUNST muss sein!

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